Die Phytotherapie oder Pflanzenheilkunde ist die Wissenschaft, welche sich mit der Anwendung pflanzlicher Heilmittel beim kranken Menschen befasst. Sie umfasst den ganzen Arzneipflanzenbereich von den stark wirksamen und mit grösster Vorsicht unter ärztlicher Aufsicht anzuwendenden Pflanzen ("forte-Phytotherapeutika") wie Digitalis, Belladona und Opium (Schlafmohn) bis zu den in jedem Haushalt täglich eingesetzten milden und schwach wirksamen wie Kamille, Hagenbutten und Pfefferminze ("mite-Phytotherapeutika"). Dabei bedeutet die "mite"-Bezeichnung nicht, dass sie unwirksam seien, sondern, dass sie eine milde und sanft regulierende Wirkung aufweisen. Einzelne müssen über längere Zeit eingenommen werden, bis sich eine spürbare Wirkung entfaltet (bspw. Johanniskraut bei Depressionen oder "Prostata-Tee's"). Da keine toxischen Nebenwirkungen bestehen, können sie schadlos auch über längere Zeit eingenommen werden. Damit nähert sich diese Gruppe der bekannten Forderung von Hippokrates, dass "unsere Heilmittel unsere Lebensmittel" sein sollten. |
"Heilkräuter" wurden schon im alten Ägypten vom Priesterarzt IMHOTEP in der Zeit des Pyramiden-Baus sowie zur Zeit des alten Roms vom Leibarzt des Kaisers Marc Aurel GALLEN angewendet. Neben den Verfassern der herrlichen Kräuterbücher des Mittelalters sind uns HILDEGARD von BINGEN und PARACELSUS wesentlich bekannter. Somit besitzt die Phytotherapie als eine der ältesten Heilkunden einen ausserordentlichen Schatz von Beobachtungen und Erfahrungen. Mit dem Aufschwung der Chemie und dem Aufkommen von vielen ursprünglich aus den Pflanzen isolierten und dann synthetisch hergestellten Heilstoffen begann die Ära der experimentellen Pharmakologie. Die Kräuterheilkunde wurde zunehmend als "unwissenschaftlich" in den Hintergrund verdrängt.
Die Begeisterung über die Wirksamkeit der "modernen" Einzelstoffe hat leider das früher unbekannte Wort "Nebenwirkungen" weitgehend unterschätzt. Es hat nicht lange gedauert, bis viele von der Pharmaindustrie entwickelten und gepriesenen Medikamente sich wegen ihren schwerwiegenden Nebenwirkungen als zu gefährlich zeigten und aus diesem Grunde aus dem Handel zurückgezogen werden mussten. Auch die heute auf den beigelegten Packungsprospekten gedruckte Alibi-Parole: "Über die Wirkungen und Nebenwirkungen fragen Sie ihren Arzt oder Apotheker" darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Nebenwirkungen der stark wirksamen chemischen Pharmaka unter Umständen sich zu den zu bekämpfenden Symptomen hinzugesellen. Kein Arzt, kein Pharmakologe und kein Arzneimittelforscher ist heute über die fast unüberschaubare und "wissenschaftlich" nicht überprüfbare Wirkstoff-Palette so weit orientiert, dass er für ihre Langzeitverträglichkeit und Unschädlichkeit garantieren könnte. Somit ist auch in Zukunft eine neue "Contergan-Affäre" vorprogrammiert. Um so erfreulicher ist es, dass die Phytotherapie unter der Bevölkerung zunehmend an Beliebtheit und Bedeutung gewinnt.
Die Phytotherapie lässt sich in zwei Arten einteilen. Einerseits die Anwendung der isolierten Einzelwirkstoffe (eine Entwicklung der "modernen" Pharmaindustrie), andererseits der Einsatz des gesamten pflanzlichen Wirkstoffinhaltes, beruhend auf dem jahrtausendalten Erfahrungsschatz. Aus der Sicht der sog. komplexen Systemtheorien, die viel exakter die Lebensvorgänge zu beschreiben in der Lage sind, muss eindeutig für das letztere Konzept plädiert werden. Hier werden Gesamtpflanzen und ihre Mischungen, welche aus bis 10-20 Einzelpflanzen bestehen, eingesetzt. Neben den klassischen alkoholischen Extrakten hat der technologische Fortschritt pulverisierte Trockenextrakte auf den Markt gebracht, die man ebenfalls mischen und zu Tabletten- oder Kapselform verarbeiten kann. Ihr Hauptvorteil: Der Patient wird durch den Alkoholanteil nicht belastet (bei 90 Tropfen = ca 4 ml / Tag).
Literatur: R.F. Weiss: Lehrbuch der Phytotherapie, Hippokrates Verlag 1985