Neurotransmitter - Neurostress
Die neuere medizinische Forschung kennt inzwischen eine große Anzahl gesundheitlicher Störungen, die auf erworbenen Fehlregulationen der Neurotransmittersysteme zurückzuführen sind. Defizienz oder Exzess einzelner oder mehrerer Neurotransmitter führen zu einer andauernden Dysbalance zwischen exzitatorischer (anregender) und inhibitorischer (dämpfender) Aktivitätslage. Bei rund der Hälfte aller Patienten vor allem in den allgemeinärztlichen Praxen stehen heute, mit stetig steigender Tendenz, derartige Gesundheitsstörungen im Vordergrund. Sie stellen daher einen bedeutenden wirtschaftlichen und sozialen Faktor dar.
Der Mensch ist durch die moderne Lebensweise, die seinem Naturell so gar nicht entspricht, ständiger Herausforderung ausgesetzt. Bewegungsmangel, falsche Ernährung mit hochkalorischen, raffinierten Lebensmitteln, Reizüberflutung durch Medien und Werbung, Konsumzwang und zunehmende schulische oder berufliche Belastungen mit Tendenz zum persönlichen Rückzug und Mangel an sozialen Kontakten führen zu dauerhafter Stressbelastung. Symptome wie Schlaf- und Essstörungen, Konzentrationsmangel, Motivations- und Antriebsverlust, Leistungsabfall, Unruhe, Ängste, Störungen des Immunsystems und Depressionen sind die Folge und vor allem die Grundlage für die Entwicklung von Stress-Syndromen.
Die Störungen der Neuroimmunregulation in der Vernetzung des Immunsystems mit Nerven- und Hormonsystem werden zunehmend verantwortlich gemacht für die immer häufiger auftretenden „Zivilisationskrankheiten“. Chronisches Erschöpfungssyndrom (CFS), Burnout-Syndrom (BOS), Posttraumatisches Stress-Syndrom (PTSD), chronische Schmerzerkrankungen wie z.B. Fibromyalgie-Syndrom und Multiple Chemikalien-Sensitivität (MCS) werden unter dem Aspekt der neurogenen Entzündung in dem Begriff der Chronischen Multisystem-Erkrankungen (Chronic Multiple Illness, CMI) zusammengefasst. Die Häufigkeit von CMI-Erkrankten wird auf 25 % der Bevölkerung geschätzt, mit steigender Tendenz. Vor allem sind Frauen zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr betroffen.
Die Dysbalance der individuellen Toleranzmechanismen insbesondere bei bestehenden Allergien oder Autoimmunerkrankungen, Arteriosklerose oder M. Alzheimer wird durch bestehende Dauerstressbelastungen verstärkt. Die betreffenden Krankheitsauslöser und Manifestationen können individuell unterschiedlich sein.
Zentrales und peripheres Nervensystem, Endokrinium, Immunsystem und Psyche stellen ein eng verwobenes, fein abgestimmtes Netzwerk dar, in dem die Einzelglieder im ständigen Austausch miteinander stehen und sich gegenseitig beeinflussen. Die Signalvermittlung innerhalb der einzelnen Systeme sowie untereinander erfolgt über Nervenbahnen, Blutbahn und den Extrazellularraum.
Unter dem Begriff „Chronische Multisystem-Erkrankungen (CMI)“ wird eine Vielzahl chronischer Beschwerdebilder zusammengefasst, die sich in unterschiedlicher Symptomatik äußern können. Hierzu zählen:
- Kopfschmerzen
- Erschöpfung
- Antriebslosigkeit
- Muskel- und Gelenkschmerzen
- kognitive Einschränkungen
- Gedächtnislücken
- Konzentrationsstörungen
- Depressionen
Hormone, Neurotransmitter, Neuropeptide, Mediatoren und die Zytokine des Immunsystems sind die Überträger der Informationen in diesem integrierten Kommunikationssystem. Man spricht auch von Psycho-Neuro-Endokrino- Immunologie. Die neuroendokrine Sinfonie basiert, wie neueste Erkenntnisse zeigen, auf dem perfekt durch Anregung und Dämpfung sich modulierenden Nervensystem und Endokrinum.
Physische und psychische Belastungen führen zu neuroendokrinen und immunologischen Anpassungsreaktionen innerhalb dieses Netzwerks, die bei entsprechender Entspannung und Regenerationsmöglichkeit reversibel sind. Dauerbelastung aber führt zu anhaltenden und zum Teil schwerwiegenden Störungen, die unbehandelt nicht reversibel sind.
Diagnostische Möglichkeiten
Die Therapie neuroendokriner Regulationsstörungen bei stressinduzierten Symptomen und Erkrankungen erfolgt meist noch immer rein symptomatisch. Chronische Belastungen durch Stress und Stress-Erkrankungen sowie vorliegende Mikronährstoffdefizite führen zu vorübergehenden oder anhaltend tief greifenden Veränderungen der neuroendokrinen und immunologischen Regulation. Diese führen zu Veränderungen der Neurotransmitter-, Neuromodulator- und Hormon-Balance. Über die Bestimmung von Cortisol und DHEA im Speichel sowie von Adrenalin, Noradrenalin, Dopamin und Serotonin, Glutamat, GABA, Glycin, Taurin, Histamin und PEA im Urin lässt sich eine entsprechende Belastung objektivieren.
Die Bestimmung von Cortisol und DHEA aus dem Speichel bietet gegenüber der Bestimmung aus dem Blut zahlreiche Vorteile: Etwa 95–99% der Steroidhormone im Blut sind an Proteine gebunden. In gebundener Form sind Hormone jedoch biologisch inaktiv. Zur Ermittlung spezifischer Hormonaktivitäten ist es deshalb wichtig, die Konzentration an freien Hormonen zu bestimmen Die gleichzeitige Bestimmung von DHEA ermöglicht die Beurteilung des Cortisol- DHEA-Quotienten als aussagenkräftigen Stressindikator: Unter Stress fällt der DHEA-Spiegel ab, während der Cortisolspiegel ansteigt.
Zur Bestimmung der Neurotransmitter hat sich der 2. Morgenurin besonders bewährt. Die Aminausschüttung aus dem Nervensystem erfolgt nicht tagesrhythmisch im Gegensatz zu Cortisol, sondern kurzfristig in Anpassung an Tagesbelastungen. Der 2. Morgenurin ermöglicht genauere Aussagen über den aktuellen Bedarf als der 1. Morgenurin, der die in der nächtlichen Ruhephase gebildeten Neurotransmitter enthält. Vergleichsmessungen von Serum, Liquor, Speichel und Urin haben gezeigt, dass die Neurotransmitter- Ausscheidung mit dem Urin sehr gut mit den Konzentrationen der zentralen Neurotransmitter korreliert. Somit ergibt die Neurotransmitter-Bestimmung im Urin ein repräsentatives Abbild der Verhältnisse im ZNS.
Die Labordiagnostik entwickelt sich damit zu einem unverzichtbaren Element in der Erkennung und Behandlung neuroendokriner Störungen. Basis dieser Untersuchungen ist die Erfassung der verschiedenen Neurotransmitter, Neuromodulatoren und Neurohormone. Besonders wichtig sind hierbei die Verhältnisse von exzitatorischen (Adrenalin, Noradrenalin, Dopamin, Glutamat) zu inhibitorischen Botenstoffen (Serotonin, GABA, Glycin und Taurin) und der Anteile von Neuromodulatoren wie Histamin und PEA. Unter Behandlung ermöglichen Kontrollen des Botenstoff- Spektrums oder einzelner auffälliger Parameter eine genaue Anpassung der therapeutischen Maßnahmen.
Ausgehend davon, dass verschiedene Krankheiten mit weitgehend typischen Neurotransmitter-/Modulator-/Hormon- Konstellationen korrelieren, wurden analytische Profile entwickelt, mit deren Hilfe die Diagnostik und therapeutische Verlaufskontrolle von Erkrankungen mit Botenstoff- Dysbalancen besser objektiviert werden können.
Therapiemöglichkeiten
Als Alternative und Ergänzung zur medikamentösen Therapie einer gestörten Neurotransmitter-Balance mit konventionellen Antidepressiva hat sich inzwischen eine Therapieform etabliert, mit der durch die gezielte Gabe von Aminosäuren (Präkursoren von Neurotransmittern und Neuromodulatoren) und Mikronährstoffen (essentiell für Synthese und Aktivität der Botenstoffe) die Neurotransmitter-Balance wiederhergestellt und dauerhaft aufrechterhalten werden kann. Ein Vorgehen in mehreren Phasen hat sich dabei bewährt.
Nach diesem Therapieregime sollten bereits in Phase 1 (s. unten) die Serotonin- und Dopamin-Konzentrationen im 2. Morgenurin angestiegen sein. Dies spiegelt jedoch nicht die neuronale Verfügbarkeit im ZNS wider, da sich diese erst nach einigen Wochen einstellt. Erst nach mehreren Wochen folgt ein Anstieg der Noradrenalin-, nach mehreren Monaten der Adrenalin-Konzentration.
Die Therapie mit Aminosäuren ist langfristig angelegt und verlangt eine kontinuierliche Überwachung des Therapieverlaufs und vom Patienten eine entsprechende Compliance. Schließlich kann hierdurch nicht nur eine Normalisierung der inhibitorischen und exzitatorischen Neurotransmitter- Balance, sondern auch eine Normalisierung der Stressachse erzielt werden.
Anstieg der Neurotransmitter
- Serotonin: nach einigen Tagen
- Dopamin: nach 1-2 Wochen
- Noradrenalin: nach 2-6 Wochen
- Adrenalin: nach 3-6 Monaten
Behandlungsphase I (Initialbehandlung über 1–2 Wochen)
Phase 1 zielt zunächst auf eine Stabilisierung der inhibitorischen Aktivität. Hierzu werden die Aminosäure-Präkursoren von inhibitorischen Botenstoffen (GABA, Serotonin, Glycin, Taurin) und für deren Synthese und Aktivität essentielle Mikronährstoffe eingesetzt. Hiermit werden bessere Therapieergebnisse erzielt als bei gleichzeitiger Anregung des exzitatorischen Systems. Testung: Monitoring nach 2 Wochen
Komponenten möglicher Kombinationen für Phase 1: Phenylalanin, Tryptophan, 5-HTP, Taurin, Glycin, Glutamin, Vitamin B6, B12, C, Folsäure, Niacin, Magnesium, Zink, Selen , L-Theanin (Grüntee)
Behandlungsphase II (Herstellung der Neurotransmitter-Balance: Start in Woche 3)
Phase 2 zielt auf die Herstellung der Balance der exzitatorischen und inhibitorischen Neurotransmitter-Spiegel. Weiterhin werden inhibitorische Botenstoffe eingesetzt. Hinzu kommt Tyrosin als Aminosäure-Vorläufer der exzitatorischen Katecholamine und PEA. Diese Phase erstreckt sich in Abhängigkeit von der Response über 3 bis 6 Monate. Aufgrund individueller Differenzen können die Neurotransmitter-Spiegel während der Therapie variieren. Durch regelmäßiges Monitoring (alle 4–6 Wochen oder bei Bedarf) können Über- oder Unterdosierungen vermieden, die Dosierungen nachjustiert und die Therapie verbessert werden.
Komponenten möglicher Kombinationen für Phase 2: Tyrosin, Phenylalanin, Tryptophan, 5-HTP, Taurin, Vitamin B6, B12, C, Folsäure, Alpha-Liponsäure, Pantothensäure, Riboflavin, Niacin, Magnesium, Calcium, Zink, Selen.
Behandlungsphase III (Erhaltungstherapie)
Phase 3 ist die Fortsetzung der Therapiephase mit zunehmender Reduktion der Aminosäure-Dosis. Die Dauer der Substitution hängt u.a. von den Ursachen der Störung, von der Konstitution, der Reaktivität und den Lebensumständen des Patienten ab und kann sich über einen sehr langen Zeitraum erstrecken. Kontrolltests (alle 3–6 Monate) dienen der Überwachung der erzielten Balance der Neurotransmitter- und Präkursor-Spiegel (Glutamat, Adrenalin, Noradrenalin, Dopamin, Phenylethylamin (PEA), GABA, Serotonin, Glutamin und Histamin) zur Fortführung und/oder Adjustierung der Therapie.
Komponenten möglicher Kombinationen für Phase 3: Tyrosin, Phenylalanin, Tryptophan, 5-HTP, Taurin, Vitamin B6, B12, C, Folsäure, Alpha-Liponsäure, Pantothensäure, Riboflavin, Niacin, Calcium, Zink, Selen.
Quelle: Labor Ganzimmun
NEUROTRANSMITTER & MEDIKAMENTE
Kürzel | Wirkung | Bsp. | Noradrenalin | Serotonin | Dopamin |
NARI | Selektive NA-Wiederaufnahmehemmer | Edronax | X | ||
Trizyklische Antidepressiva | Tofranil | X | X | ||
SSRI | Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer | Cipramil | X | ||
SNRI | Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer | Tevilor | X | X |
X |
RIMA | Reversible Monoamino-oxidase Hemmer | Aurorix | X | X | |
Stimulanzien | Ritalin | X |
aus Psycho 26 (2000) Nr. 4
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